Opinion - March 8, 2021

Vom Himmel auf den Boden der Tatsachen – oder?

Written by Bertrand Piccard 5 min read

Vor 5 Jahren waren die technologischen Fortschritte der Solar Impulse II (Si2), das erste bemannte Solarflugzeug, das die Welt umrundete, bahnbrechend. Heute sollten diese Technologien zu unserem Alltag gehören.

Unser Solarflug um die Welt war nicht nur eine Premiere für die Luftfahrt, sondern auch für erneuerbare Energien. Die Si2 war ein fliegendes Labor voller neuer Technologien, die es ermöglichten, ein Flugzeug mit dem Gewicht eines Familienwagens durch Sonnenenergie Tag und Nacht in der Luft zu halten. Fünf Jahre später frage ich mich, warum diese Technologien noch nicht den Massenmarkt erreicht haben. Wenn wir es in der Luft geschafft haben, was hält uns davon ab, das Gleiche auf dem Boden zu tun?

Die Si2 war ein Elektroflugzeug, das 43.000 km ohne einen einzigen Tropfen Treibstoff flog. Die vier Elektromotoren hatten einen Wirkungsgrad von 97%. Die 27% der im Transport standardmässig verbauten Thermomotoren erscheinen in diesem Vergleich fast ärmlich. Trotzdem sind Steckdosen immer noch weit davon entfernt, Benzinpumpen zu ersetzen. Und der Verkehrssektor verursacht immer noch ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen. Politik und Wirtschaft müssen emissionsfreie Fahrzeuge endlich auf eine Einbahnstrasse lenken und Benzin und Diesel in einer Sackgasse stehen lassen.  

Im Cockpit von Solar Impulse, mit der wir auf bis zu 9’000 m flogen, war Isolierung entscheidend. Eigens für dieses Projekt, hat Covestro ein Material entwickelt, das die Isolationsleistung des Cockpits um 20 Prozent gegenüber den damaligen Standards steigerte. Die Poren im Isolierschaum waren um 40 Prozent kleiner als die der Herkömmlichen und dank seiner geringen Dichte machte er das Cockpit ultraleicht. Diese Technologie und viele andere existieren – und das schon seit Jahren! Trotzdem bleibt schlechte Gebäudeisolierung eine der grössten Klimasünden unserer Zeit. Wir müssen nun sicherstellen, dass Entscheidungsträger, Unternehmen und Investoren die richtigen Anreize erhalten, um eine hocheffiziente Gebäudedämmung zu ihrem Leitmotiv zu machen und wir so aufhören können, mühselig gewonnene Energie gleich wieder zu verlieren.

Um Tag und Nacht zu fliegen, verliessen wir uns bei der Si2 auf Batterien, die die tagsüber gewonnene Sonnenenergie speicherten und nachts unsere Triebwerke speisten. Was mit Si2 im kleinen Maßstab möglich wurde, sollte den Weg zu zukunftssicheren Stromerzeugungssystemen weisen, die vollständig aus erneuerbaren Energien bestehen. Microgrids, wie wir sie in Si2 verwendet haben, könnten Regionen oder Inseln dieser Erde zugutekommen, die weit abgelegen von unseren Stromnetzen liegen. Die Möglichkeit, erneuerbare Energie zu speichern und zu verwalten, würde ihre Abhängigkeit von Diesel und anderen kohlenstoffreichen Kraftstoffen beenden.

Das Projekt Solar Impulse startete mit dem Gedanken etwas zu erschaffen, das Energie sparen würde, anstatt mehr von ihr zu benötigen. Spannweite, Aerodynamik, Geschwindigkeit, das Flugprofil und die Energiesysteme der Si2 wurden so konzipiert, dass möglichst wenig Energie gebraucht wurde oder verloren ging. Leider wirkt dieser Ansatz immer noch stark kontrastierend zu der häufigen Ineffizienz unserer Produktionssysteme.  

Solar Impulse war bahnbrechend und futuristisch. Heute sollte sie Normalität sein. Es gibt Hunderte von Cleantech-Lösungen, die die Umwelt auf rentable Weise schützen. Viele von ihnen haben das «Solar Impulse Efficient Solution Label» erhalten. Wir müssen jetzt sicherstellen, dass sie sobald wie möglich in den Mainstream-Markt eintreten. Je schneller wir sie fördern, desto schneller werden wir unsere Wirtschaft auf einen Kurs lenken, der uns Arbeitsplätze, qualitatives Wachstum und das Einhalten unserer Klimaziele garantieren wird.


Veröffentlicht in NZZ

Written by Bertrand Piccard on March 8, 2021

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